sehen. gesehen werden
Mit unserem Kunstprojekt „Gesichter der Flucht“ richten wir den Fokus wieder auf die Menschen und schaffen Raum für Reflexionen und Begegnungen. Eine Metamorphose - vom fotografischen Portrait zum malerischen Selbstbildnis.
„Gesichter der Flucht“ besteht aus einer wachsenden Zahl von Selbstportraits. Es ist ein unbegrenzt fortsetzbares Kunstprojekt, das davon lebt, möglichst viele Menschen daran teilhaben zu lassen. Nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch ihre Helfer werden einbezogen. Im gemeinsamen Schaffen entsteht Verbundenheit und Vertrauen - und damit eine wichtige Vorraussetzung für Integration: die innere Bereitschaft zur Öffnung.
Wenn wir mit einer Gruppe von Flüchtlingen arbeiten, ist es uns wichtig zunächst eine schöne Atmosphäre zu schaffen. Wir bringen Tee, Kuchen und Musik mit und die Stimmung ist meist ausgelassen und fröhlich. Leichtigkeit statt Leistungsdruck. Von Anfang an stellen wir klar: hier geht es in erster Linie darum, miteinander Freude zu haben.
Die Projektarbeit beginnen wir mit dem Erstellen fotografischer Portraits. Für manche ist das kein leichter Schritt. Wir lassen den Mutigen den Vortritt. Die anfängliche Scheu weicht meist schnell der kindlichen Freude an der Selbstinszenierung. Anschließend werden die so entstandenen Fotografien am Computer digital verfremdet. Dabei werden die Bilder in helle und dunkle Farbflächen zerlegt und erhalten eine monochrome Hintergrundfläche. Die so abstrahierten Fotografien dienen den Flüchtlingen als Vorlage ihrer gemalten Selbstportaits. Aus dem akribischen Nachzeichnen entwickelt sich meist das Bedürfnis individueller Ausgestaltung. Es beginnt ein positiver, künstlerischer Prozess der Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild, mit sich selbst.
Alle Portraits werden mit Acryl auf Leinwand gemalt - und zwar immer im gleichen Keilrahmenformat von 40cm x 40cm. Später werden die quadratischen Einzelbilder wie ein Puzzle zusammengesetzt.
Ist ein Bild vollendet, sind die Flüchtlinge meist selber verblüfft, was sie erschaffen haben. Stolz posieren sie mit ihrem Gemälde und lassen sich von anderen damit fotografieren. Dann wird es über soziale Medien in die Heimat gesimst und von Freunden oder der Familie bestaunt. Aber es gibt auch stille Momente der Begegnung. Wir fragen nie nach den persönlichen Schicksalen - aber wenn uns jemand seine Geschichte erzählen möchte, oder etwas mitteilen, dann hören wir zu. Dabei wächst das gegenseitige Vertrauen und die Leute wagen es auch, mit ihren Problemen zu kommen. Und wenn es möglich ist, dann hilft man eben.
Die entstanden Portraits sind wie Spiegel, die mit Liebe schauen. Sich plötzlich herauszuheben aus einer grauen Masse von Gesichtslosen, gesehen zu werden und sich selbst neu zu entdecken, sich zu lieben und geliebt zu werden - das ist der Kick. In den nächsten Jahren werden hier noch viele Menschen Zuflucht suchen. In ihren Hoffnungen und ihrem Mut ganz neu zu beginnen, steckt eine große Chance für unsere Gesellschaft - wenn uns die Integration gelingt. Uns persönlich bringt die Arbeit mit den Flüchtlingen viel Freude. Wer den Menschen mit Respekt begegnet, wird vielfach zurück beschenkt.